Mittwoch, 28. Mai 2014

Wie lässt sich druckbedingtes Prüfungsversagen bekämpfen?

Die Grundlage dieses Blogeintrags bildet Sian Beilocks Buch «Choke». Sian Beilock ist eine führende Wissenschaftlerin im Bereich Prüfungsversagen unter Druck. Sie forscht als Professorin für Psychologie an der Universität Chicago.

Was sagt sie über die Ursachen von Prüfungsversagen unter Stress? Welche Vermeidungsstrategien schlägt sie vor?

Der präfrontale Kortex

Ein wesentlicher Bestandteil des Intelligenzquotienten (IQ) ist im präfrontalen Kortex des Gehirns lokalisiert. Hier befindet sich der Arbeitsspeicher unseres Denkapparats. Er bestimmt quasi die «kognitiven Pferdestärken» jedes einzelnen Menschen. In diesem Bereich wird Information kurzzeitig gespeichert, während gleichzeitig etwas anderes, Untergeordnetes bearbeitet wird. Unnötige Infos werden dabei verdrängt. Problemlösungsfähigkeiten und Textverständnis beispielsweise hängen unmittelbar von der Leistungsfähigkeit dieses Zwischenspeichers ab.

Der Arbeitsspeicher des Gehirns lässt sich also als eine Art Notizblock verstehen. Er hilft uns, wichtige Informationen im Kopf zu behalten, während eine spezifische Aufgabe verrichtet wird.

Kurz: Unsere akademische Leistungsfähigkeit wird offenbar massgeblich durch den Entwicklungsstand des präfrontalen Kortex bestimmt.

Wichtig: Der Arbeitsspeicher ist tranierbar, wie neuste wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen. Entsprechende Übungen scheinen sogar ADHS-Symptome zu lindern.

Mögliche Ursachen für Prüfungsversagen

Wenn wir uns Gedanken darüber machen, dass wir versagen könnten, ist die Wahrscheinlichkeit tatsächlich grösser, wirklich zu versagen.

Im Moment, wo Ängste und Selbstzweifel den Kopf fluten (Habe ich mich genügend vorbereitet? Was denken die andern, wenn ich scheitere?), wird es schwierig klar zu denken.

Wir können uns nicht gleichzeitig auf Selbstzweifel und die zu lösende Prüfungsaufgabe konzentrieren. Die aufkommende Angst blockiert den Arbeitsspeicher. Es bleibt kaum mehr Kapazität für die eigentliche Aufgabe.

Menschen, die sich stark reflektieren, laufen eher Gefahr, unter Stress an Prüfungen zu versagen.

Interessanterweise scheitern Menschen mit einem leistungsfähigen Arbeitsspeicher öfter unter Druck. Ein zu guter Arbeitsspeicher kann blockierend wirken, weil er das Finden aussergewöhnlicher Lösungswege hemmt. Wir sollten den Arbeitsspeicher also im richtigen Moment auch deaktivieren können.

Prüfungsversagen kann einerseits auftreten, wenn automatisierte (unterbewusste) Abläufe zu stark hinterfragt werden. Sian Beilock nennt diesen Effekt «paralysis by analysis». Andererseits können aber auch falsche, nicht hinterfragte Routinen zum Scheitern führen. In beiden Fällen wird der Arbeitsspeicher falsch verwendet.

Auch Stereotype wie «Mädchen sind schlecht in Mathe!» oder «Knaben lesen schlecht!»  können die Leistungsfähigkeit einer Person erheblich herabsetzen.

Gut zu wissen: Der persönliche Druck steigt, je mehr Leute von einer anstehenden Prüfung wissen.

Massnahmen, um druckbedingtem Prüfungsversagen zu begegnen 

Am effektivsten ist das Üben der Prüfungssituation unter möglichst realen Bedingungen.

Wir sollten Pausen einschalten, wenn eine Blockade eintritt. Generell sollten sich Examinanden Zeit für eine gründliche Analyse lassen: zuerst Informationen sammeln und ordnen, dann den geeignetsten Weg suchen. Vor dem Start durchatmen und einen Schritt zurück machen! Dieses Vorgehen entlastet den Arbeitsspeicher.

Ebenfalls entlastend wirken Notizen: nicht alles im Kopf behalten, sondern möglichst viele Fakten strukturiert aufschreiben. Dadurch wird der präfrontale Kortex befreit. Als Konsequenz davon werden weniger Informationen verwechselt bzw. vergessen.

Eingeübte Tätigkeiten verlassen den Bewusstseinsbereich mehr und mehr. Sie gehen ins Unterbewusstsein über und belasten dadurch den präfrontalen Kortex kaum mehr (gute Kopfrechner können sich deshalb besser auf eine neue mathematische Problemstellung einlassen).

Generell gilt: Wollen wir erfolgreich werden, muss das Gehirn trainiert werden («Übung macht den Meister!»). Dadurch werden neue, hilfreiche Verknüpfungen gebildet. Action-Computer-spiele zum Beispiel stärken die Intelligenz.

Das Gehirn wird ständig neu verschaltet. Damit wird unter Umständen der Grundstein für eine aussergewöhnliche Leistung gelegt.

Mit Tricks und Übung kann die wichtige Merkfähigkeit erheblich optimiert werden. Merktechnisch ist es hilfreich, Informationseinheiten zu bündeln, d.h., zu sinnvollen Einheiten zusammenzufassen.

In Stresssituationen kann, wie bereits erwähnt, ungewollt ein innerer Angstmonolog starten. Dieser Monolog blockiert die verbale Intelligenz mit Sitz in der linken Hirnhälfte. Da eine Gehirnhälfte nicht zwei Probleme gleichzeitig bearbeiten kann, sollte auf eine andere Gehirnregion ausgewichen werden. Rechnen wir beispielsweise vertikal, weichen wir auf die rechte, unbelastete Hirnhälfte aus.

Kurz: Wüten die Ängste in der linken Hirnhälfte, sollte auf die rechte Hirnhälfte ausgewichen werden. Dies tut man, indem die Problemstellung vertikal strukturiert wird.

So wird die rechte Hirnhälfte aktiviert, die für das räumliche Denken zuständig ist (Skizzen oder Tabellen erstellen). Das Ab- bzw. Umschreiben von Aufgaben hilft ebenfalls, dumme Fehler zu vermeiden. Die Schriftlichkeit fungiert dann als eine Art externer Speicher und entlastet den gestressten Arbeitsspeicher. 

Schreiben bewirkt Wunder  

Schreiben über persönliche Qualitäten und Einzigartigkeiten hilft, Selbstzweifel abzubauen. Wenn plagende Gedanken aufkommen, soll man sie in Worte fassen und dann loslassen.

Selbst das Reden über Ängste befreit. Werden wir uns unserer Ängste bewusst, ändert sich die Arbeitsweise des Gehirns unter Druck. Entsprechend ist es hilfreich, vor dem Test 10 Minuten lang Gedanken und Gefühle niederzuschreiben, welche die Prüfung betreffen. Je mehr man sich mit diesen Gefühlen und Gedanken befasst, desto besser. Gefühle in Worte zu fassen, beeinflusst die Art, wie das Gehirn mit Stressinfos umgeht.

Über sich aus verschiedenen Blickwinkeln nachdenken: 5 Minuten vor dem Test Mindmap erstellen darüber, was die eigene Persönlichkeit ausmacht.

Selbstzweifel können mit Meditation bekämpft werden. Man muss lernen, seine Gedanken auf die Aufgabe zu konzentrieren – und nur auf die Aufgabe.

Darüber nachzudenken, was zum Erfolg führen könnte, hilft ebenfalls, bessere Resultate zu erzielen.
Daran glauben, dass man die Aufgabe meistern kann. An erfolgreiche Momente in der Vergangenheit denken.

Man muss sich daran erinnern, dass man das nötige Wissen hat und man Herr der Lage ist. Dieser Gedanke kann den nötigen Schub an Selbstvertrauen geben.

Interpretation der Köpersignale: Stresssignale (nasse Hände, schneller Herzschlag) sollen positiv interpretiert und idealerweise mit positiven Ereignissen in Verbindung gebracht werden (als ich meine erste Liebe traf, hatte ich auch einen erhöhten Herzschlag).

«Just do it» – Nike. Routinefähigkeiten sollen nicht zu stark reflektiert werden.

Gerät man an eine neuartige, unvorhergesehe Aufgabe, muss ihr die volle Aufmerksamkeit gewidmet werden. Hier soll der ganze Arbeitsspeicher eingesetzt werden.

Längere stressfreie Phasen einschalten (Ferien). Nur so kann sich das Gehirn wieder regenerieren.

Menschen mit einem sehr leistungsfähigen Arbeitsspeicher überhitzen in Stresssituationen. Sie suchen zu weit und brauchen dadurch viel Energie. Sie ermüden in solchen Situationen rasch. Menschen mit weniger verfügbarem Arbeitsspeicher finden dafür häufig kreativere Lösungen.

Weitere Erkenntnisse 

Je älter ein Kind im Verhältnis zu seinen Kameraden ist, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass es überdurchschnittliche Leistungen erbringt. Ältere Kinder profitieren von der fortgeschrittenen Entwicklung ihres Gehirns.

Man muss sich also fragen, ob mit dem Überspringen von Klassen nicht einfach überragende Leistung neutralisiert wird.

Musikunterricht fördert das Zusammenspiel der Hirnhälften. Dies ist förderlich, weil der präfrontale Kortex erst nach der Pubertät voll ausgereift ist. Bis dahin übernehmen andere Regionen des Gehirns seine Aufgabe.

Knaben suchen eher nach Abkürzungen bei der Problemlösung. Mädchen halten sich an gelernte Wege. Dadurch können sie unter Stress in Zeitnot geraten.

Erfahrungen mit Legosteinen sind wichtig für die Entwicklung des räumlichen Vorstellungsvermögens. Knaben sind da eher im Vorteil.

Je später sich Kinder eine Fähigkeit aneignen, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie später in einer Prüfungssituation darin versagen.
Diese Erkenntnis spricht für Frühförderung.